Vom Glück, spielen zu können

Glück ist relativ - in Bezug auf die anderen, die Umwelt. Wird Glück zu einer absoluten Grösse, kommt Macht ins Spiel. Dann ist es kein Glück mehr.

Wir wollen, dass unsere Kinder glücklich sind, dass sie gesund und ausserdem beliebt und erfolgreich sind. Beliebtheit und Erfolg sind personale und soziale Kompetenzen, die in beträchtlichem Masse gefördert werden können. Dazu gehören Fähigkeiten wie Empathie und des Sich-Einfühlens in die Bedürfnisse anderer, aber auch die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse mit denen der anderen konstruktiv zu verbinden. Und dazu wiederum gehört, dass man sich nicht ‚den anderen zuliebe‘ versteckt, sondern dass man sich auch selbst – ein Stück weit – ‚in Szene’ setzen kann. Unsere Kinder sollen entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert werden, sie sollen sich damit auf gute Weise (!) ‚in Szene setzen’ und erfolgreich sein, sie sollen ihr Potential entfalten und umsetzen. Dazu braucht es intuitives Gespür und manchmal ein bewusstes Nachdenken darüber.

Das Nachdenken bringt Menschen in eine Aussenperspektive sich selbst gegenüber, wir gehen in Distanz zu uns, indem wir unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten von aussen betrachten. Ein Stück weit ist das normal und notwendig, um sich in der Welt zu positionieren. Es kann aber schwierig werden, wenn Intelligenz und Förderung ständig Thema sind. Dann kann es sein, dass die Kinder von ihrem einfachen Kindsein abgelenkt werden. Gerade hochbegabte Kinder geraten eh leicht ins abstrakte Denken und eine Zuschauerposition sich selbst gegenüber. Dann leidet die Selbstzentrierung, die intrinsische Motiviertheit, die Lust am Tun, der flow. Es geschieht genau das Gegenteil von dem, was eigentlich durch die Förderung erreicht werden sollte. Deshalb ist es wichtig, Kinder selbst entdecken zu lassen, dass das eigene Handeln Spass macht, dass man etwas bewirken kann, und dass es zu einem passt, wie man handelt, mit einem selbst übereinstimmt. Erst kommt die gefühlsmässige Zentrierung beim lustvollen Handeln, dann die Aussenperspektive.

Manchmal fühlen Erwachsene den Druck, die Kinder früh genug zu fördern, damit ihr Potential nicht versandet, damit ihnen nicht langweilig ist in einer Welt, die sie ständig zu unterfordern scheint. Macht aus dieser Perspektive flowzentrierte (vorläufige) Ineffizienz Sinn, wenn Zeit für spielerisches Entdecken verwendet wird anstatt für die gezielte Entwicklung von Fähigkeiten und Leistungen?

Wenn ein Kind hochbegabt ist, kann es vieles früher und schneller. Das ist verführerisch – es scheint auf der Hand zu liegen, dass es die Dinge dann auch wirklich früher tun soll. Aber so einfach ist es nicht: Ein Kind sollte zwar keinesfalls in seinen Begabungen ausgebremst werden, es sollte mit seinen Begabungen anerkannt und auch gefördert (!) werden. Der Gedanke, dass ein hochbegabtes Kind schon alleine klarkommt, geht auch an den kindlichen Bedürfnissen nach Fürsorge vorbei. Doch Förderung bedeutet nicht, möglichst viel schnell und früh zu tun, auch wenn dies sein darf. Förderung bedeutet, das Kind in seinem lustvollen Entdecken der Welt zu unterstützen und ihm dabei Anregungen zu geben. Wird die Leistungsfähigkeit des Kindes betont, sehe ich vor allem drei Gefahren:

Es besteht die Gefahr, dass wir Grossen die spielerischen Fähigkeiten eines Kindes vernach­lässigen, weil wir es toll finden, wenn ein Kind so verständig wie ein kleiner Erwachsener ist und schon so vieles wie ein Grosser macht. Aber wird mit der Betonung des Kognitivennicht evtl. die eigene Unfähigkeit bedient, sich wieder spielerisch auf die Ebene eines Kindes einzulassen? Vielleicht weil man selber keinen guten Kontakt zu seinen eigenen verspielten, kindlichen Anteilen hat oder selber kein Kind sein durfte, das unsinnige Sachen tat, die dafür umso sinnlich-vergnüglicher gewesen wären? Was müssen wir aus unserer eigenen Kindheit abwehren? Unsere Leistungen waren womöglich der Stolz unserer Eltern. Und die Leistungen der kleinen Hochbegabten sind nun der Stolz von uns. Dieser Stolz auf die Leistungen des Kindes ist nur dann in Ordnung, solange es ein Kind in seiner seelischen und sozialen Entfaltung nicht beschneidet und es trotzdem absichtsfrei spielen kann.

Aus einer solchen Leistungsorientierung ergeben sich weitere Gefahrenquellen für die kindli­che Persönlichkeitsentwicklung: Es wird leicht einer narzisstischen Persönlichkeitsentwicklung Vorschub geleistet. Es gibt den gesunden Narzissmus, den Stolz auf das eigene Vermögen. Dieser ist sogar wichtig für die kindliche Entwicklung. Wer sich aber ständig als hochbegabt definieren muss und seine Identität daraus bezieht, gerät in Leistungsstress und in eine Aussenposition sich selbst gegenüber. Das Kind wird abhängig von der Bewunderung der Umgebung, um sein Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten, und dadurch zunehmend selbst­bezogener. Lassen Sie mich ein Beispiel erzählen: Vor einiger Zeit kam ich in einem Seminar (zu einem komplett anderen Thema) während einer Kaffeepause mit einem durchaus sympathischen Juristen ins Gespräch. Als ich fragte, was er beruflich mache, erzählte er, dass er jetzt in einem anderen Bereich tätig sei. Dann offenbarte er mir mit verschwörerischer Stim­me am Stehtisch, dass er nämlich hochbegabt sei. Da kannte ich ihn gerade mal zwei Minuten. Als ich etwas später erwähnte, dass ich ein Buch zu diesem Thema geschrieben hätte, schien er dies aber gar nicht zu hören oder zu registrieren. Er blieb mit seiner Begabung beschäftigt. Ich konnte es mir nur damit erklären, dass es im inneren Schema dieses erwachsenen Mannes keinen Platz für einen Dialog gab, sondern einzig dafür, ihn mit seiner Begabung zu bewun­dern. Ein Kind darf ruhig wissen, dass es hochbegabt ist. Es sollte aber nicht seine Identität daraus beziehen, sonst leidet die soziale Beziehungsfähigkeit.

Eine dritte Gefahr für die Persönlichkeitsentwicklung besteht in der sog. malignen Progression: Es gibt nicht nur das Ausbremsen und Zurückbinden von Potential (kognitivem wie kreativem), sondern auch ein zu schnelles Losschubsen anstelle von angemessener Entfaltung. Stellen Sie sich einen Skispringer vor, der sich nicht zu springen getraut, und umgekehrt einen Skispringer, der zu früh einen Schubs erhält und dann die Schanze irgendwie hinunterrast. Er gewinnt an Tempo, während er sein Gleichgewicht und seine Zentrierung finden muss, um nicht zu straucheln. Normalerweise gilt nur regressives Verhalten als ungesund. Das kennt man von Kindern, wenn sie sich nicht weiterentwickeln wollen und sich unnötig selbst behindern. Zu einer malignen Progression kommt es hingegen, wenn die Entwicklung in Richtung eines Zu-früh-und-zu-viel geht (Petzold, 1993/2003, Bd. 2), wenn immer vorwärts geeilt werden muss.  Bei Überlastungen kann es kompensatorisch zu einer akzelerierten kognitiven Entwicklung kommen (Petzold, 2009). Schon der ungarische Psychoanalytiker Ferenczi stellte fest: „Lebensnot zwingt zur Frühreife“ (1964; nach ebd.). Und nach der Kinderpsychoanalytikerin Anna Freud (1994) ist Intellektualisierung ein Abwehrmechanismus, den (intelligente) Kinder und Jugendliche in unsicheren Zeiten verstärkt anwenden. Lassen wir die Kindheit keine unsichere Zeit durch Leistungsstress sein, sondern eine Zeit, in der die eigenen Fähigkeit vergnüglich ausprobiert und so in aller Ruhe Wurzeln geschlagen werden können.

Wie heisst es doch, wenn sich ein Erwachsener schlecht benimmt: Er hat keine Kinderstube gehabt. Wenn wir unsere (hochbegabten) Kinder mit Leistungsstress und Überorganisiertheit im Eilzugstempo durch ihre Kindheit befördern, ist die Förderung ein Bärendienst. Dann haben sie eben keine bzw. eine zu kurze Kinderstube gehabt, um sich in sozialen Räumen spielerisch entfalten zu lernen. Fingerübungen am Klavier brauchen Zeit, egal wie begabt ein Mensch ist. ‚Soziale Fingerübungen’ ebenfalls. Kinder und Jugendliche brauchen Zeit, um sich spielerisch und mit Handlungslust selbstwirksam zu erleben.

Nachfolgend möchte ich drei hochbegabte Jugendliche vorstellen. Welche bzw. welcher Jugendliche dürfte aus Ihrer Sicht am beruflich erfolgreichsten, welche bzw. welcher Jugendliche am sozial erfolgreichsten werden und wer von den Dreien könnte sich in einigen Jahren am zufriedensten fühlen?

1. Situation:

Dimitri besucht die Berufsmaturitätsschule technischer Richtung. Er fällt zu Beginn dieser vierjährigen Ausbildung dadurch auf, dass er in leicht forderndem Tonfall und dabei meist etwas schneller sprechend kritische Fragen zu den Unterrichtsinhalten stellt. Ansonsten ist er liebenswürdig, lustig und auch gut integriert. Allerdings stören sich einige Klassenkameraden auch an der Beachtung, die er durch seine vielen Fragen oder Überlegungen erhält. Dimitris Noten sind insgesamt sehr gut, nicht aber alles Bestnoten. Der Schüler plant, nach der Berufs­matura die gymnasiale Erwachsenenmatura und dann die Technische Hochschule zu absol­vieren. Während der vergangenen Sommerferien half er einem Klassenkameraden gratis mit Mathematik-Nachhilfestunden. Was ihn nicht interessiert, lässt er einfach sein, beispielsweise das Angebot eines Opernsängers im Rahmen eines schulischen Workshops, dass er mal für eine Einzelstunde vorbeikommen dürfe, weil er so eine schöne Stimme habe. Wofür, wenn er keine Musik macht? Da ist Dimitri sehr pragmatisch. Mit seiner schnellen Denkweise eckt er manchmal auch an – der Tenor im Lehrer­kollegium lautet in etwa: „Ja, ja, er redet viel, ob wirklich so viel hinter dahinter ist?“, „er will provozieren“, „er will besser als die anderen sein“ und Ähnliches mehr. Die Überlegung, dass er hochbegabt sein könnte, wird bei den Lehrpersonen zunächst skeptisch betrachtet.

Dimitri fällt mit seinem bescheidenen Pragmatismus auf. Zugleich werden seine vielen Fragen und Überlegungen auch kritisch wahrgenommen: Warum aber soll ein Schüler nicht schwierige Fragen stellen dürfen oder mehr wissen wollen als die anderen? Und warum sollte ein Schüler nicht besser sein dürfen als die anderen, wenn es doch seinem eigentlichen Leis­tungsniveau entsprechen würde? Hochbegabung ist kein Angriff auf die Umgebung, sondern eine Freude, und Denken ist eine Lust. Die Leichtigkeit, mit welcher der Schüler seine Fragen und Überlegungen anstellt, spricht für sich.

2. Situation:

Lisa besucht die erste Klasse eines Gymnasiums. Beide Eltern sind in einer eigenen tech­nischen Firma beschäftigt. Lisa hat eine zwei Jahre jüngere Schwester und zwei kleine Zwil­lingsbrüder. Während die Geschwister recht vorwitzig sind, ist Lisa eher zurückhaltend, hilfsbereit und brav. Sie hütet die Jüngeren bei Bedarf und passt sich im Alltag deren Tagesrhythmus an, wenn sie wie ‚die Kleinen‘ früh zu Abend isst und auch sehr früh ins Bett geht, damit ihre Geschwister nicht länger aufbleiben wollen wie sie als Älteste. Die jüngere Schwester hat zwei Schuljahre übersprungen und besucht nun dieselbe Klasse wie Lisa. Lisa hilft ihr ab und zu. Nie zeigt sie eine Spur von Neid. Die beiden Schwestern unternehmen vieles gemeinsam. Beide schreiben fast nur Bestnoten. Sie investieren viel Zeit in die Haus­aufgaben, gute Noten werden in der Familie mit noch schwierigeren Knobelaufgaben belohnt. Musik ist ebenfalls hoch angesehen und so spielen die Kinder alle ein Instrument, wofür sie seit Jahren täglich zwei bis drei Stunden üben, in den Ferien ebenfalls. Freiwillig, wie die Eltern betonen. Lisa und ihre Geschwister spielen mehrfach pro Jahr in unterschiedlichen Formationen an Wettbewerben und Konzerten vor.

Lisa ist zweifelsohne vielfältig begabt. Es ist gut nachvollziehbar, dass sie ihr Potential auch an Wettbewerben ausprobiert. Aber ist das ordentliche Erledigen von Hausaufgaben und Mu­sik wirklich immer so freiwillig? Hinzu kommt die stete Anpassung an die Familienbedürfnisse. Konkurrenz zur Schwester ist nicht ansatzweise spürbar. Darf Lisa auch mal Prioritäten setzen und in einigen Bereichen lockerlassen? Wo hat sie Entfaltungsräume ausserhalb des vorgegebenen familiären Rahmens?

3. Situation:

Amir macht eine zweisprachige Matura und spielt nebenher fast professionell Violine. Er sagt, die Geige sei von Anfang an sein Instrument der Wahl gewesen. Später möchte er in Amerika ein naturwissenschaftliches Studium beginnen. Er ist als Einzelkind aufgewachsen und hat eine fürsorgliche und auch bildungsfreundliche Erziehung genossen, aber keine spezielle Begabungsförderung in Musik oder Schule. Amir fördert seine Begabung gewissermassen selber, indem er sich hohe Ziele setzt (zweisprachige Matura mit sehr guten Noten; musi­kalisches Engagement mit der Violine). In Schule und Schulorchester ist er beliebt. Gute soziale Kontakte, Ausgehen, Sport mit anderen, Tanzen und Freunde sind ihm wichtig. Im Gespräch sagt er, dass man das, was man tut, auch wirklich wollen muss, dann gelinge es. In Bezug auf Musik erzählt er, dass diese für ihn einfach ganz viel Gefühl bedeute, darum spiele er so gerne Geige.

Amir ist gleichermassen liebenswürdig und bescheiden, wie auch selbstbewusst darauf fokussiert, ‚sein Ding’ durchzuziehen. Dahinter steht ein grosses Stück disziplinierter Arbeit – nicht nur in Bezug auf Schule und Musik, sondern auch in Bezug auf soziale Integration. Hat er oder haben seine Eltern die Erfahrung gemacht, dass Integration nicht immer ein leichtes Thema ist als Ausländer? Oder hat er möglicherweise erkannt, dass man sich als hochbegabter Mensch sehr schnell vom Durchschnitt entfernt und deshalb besonderes Augenmerk auf soziale Beziehungen legen muss? Oder dass man letztlich alleine verantwortlich für seine Zufriedenheit und Lebensgestaltung ist? Zugleich fällt auf, dass er nicht bloss auf seine grossen kognitiven Fähigkeiten fokussiert ist, sondern auch einen lebendigen Zugang zu seiner Gefühlswelt hat.

Wir haben hier drei Fallvignetten von Jugendlichen, die ihre Hochbegabung auf unterschied­liche Weise ausleben und die auf unterschiedliche Weise gefördert werden. Wer von ihnen hat wohl seinen oder ihren persönlichen Spielraum, um sich in Zufriedenheit zu entfalten? Wer von ihnen befindet sich in einem zentrierten Zustand und wer ‚rutscht’ eher in eine Zuschauer­position sich selbst gegenüber? Wer von den Dreien könnte am ehesten ein ‚relatives Glücksoptimum’ erreichen und damit zufrieden sein? Die Antwort steht noch aus und kann nur vermutet werden.

Amir ist ein Beispiel dafür, wie gefühlsmässige Zentrierung und Freude am eigenen Bewirken erlebt werden kann. Ein wichtiger Teil ist dabei, dass Amir sich der Musik und dem Leben emotional öffnet und sich von den Möglichkeiten ansprechen lässt. Dazu gehört, dass er zwar von seinen Eltern gefördert, nicht aber gestresst wurde. Denn auch hochbegabte Kinder sind zunächst einfach mal Kinder. Wie Schäfer (2007, 5f) es in Bezug auf allgemeine bildungspolitische Fragen formuliert hat: „Sind Kinder wirklich von Anfang an Naturwissen­schaftler oder werden sie nicht als solche sozial konstruiert? Sind sie nicht erst Entdecker einer sinnlich wahrnehmbaren Welt?“

Diese sinnlich wahrnehmbare Welt gilt es in der Kindheit und Jugendzeit entdecken zu dürfen. Dass eine angemessene Förderung für hochbegabte Kinder und Jugendliche stattfinden soll, bleibt unbestritten. Ich zweifle aber daran, ob wir dafür wirklich noch mehr Leistungsstress oder gar Frühförderung brauchen. Hilfreich dürfte hingegen ein breites Spektrum an Angeboten in Schule und Freizeit sein, das genossen werden darf (nicht muss). Und vor allem Eltern, Lehrpersonen und Therapeut:innen, die selber ‚Spielfreude’ bei schwierigen Fragen entwickeln! Egal ob wir meinen, (hochbegabte) Jugendliche in Schranken weisen zu müssen (wie bei Dimitri) oder zu stetem Weiterleisten animieren (wie bei Lisa): Beides hat mit dem Gefühl des eigenen Zu-kurz-Gekommenseins auf der Seite der Erwachsenen zu tun. Dann wird mit Massnahmen pädagogisch wertvoll (einschränkend oder fordernd) gehandelt, aber eigentlich nur das eigene Zu-kurz-Gekommensein weitergegeben. Hier gilt es, aus diesem Schema auszusteigen, indem wir unsere eigene Spielfreude fördern und wieder neu entdecken. Letztlich geht es darum, selber ein offenes Herz zu haben, wenn wir dies für unsere Kinder und Jugendlichen wünschen.

Musik kann für die Entdeckung der eigenen Gefühls- und Phantasiewelt ein wunderbares Hilfsmittel sein und helfen, die eigenen Sehnsüchte auszudrücken, wie bei den beschriebenen Jugendlichen teilweise zu sehen ist. Andere kreative Medien, Tanz und Sport können ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Selbstzentrierung und sozialen Entfaltung leisten. Auch kognitive Hobbys wie Schach gehören unbedingt dazu, sofern diesen mit Hingabe und Spielfreude nachgegangen wird. Musik hat m.E. den besonderen Vorteil, dass sie Menschen bei ihren Gefühlen abholt und gleichzeitig bei dem Komplexitätsgrad, den sie entsprechend ihrer Intelligenz wie auch psychischen Reifung jeweils benötigen. Dies kommt der im allgemeinen sehr hohen Sensibilität von Hochbegabten entgegen, wenn in der Musik die gesamte Gefühlstiefe Platz hat, die die Heranwachsenden in ihrem Herzen tragen. Je nach Instrument ist zudem das soziale Zusammenspiel ein wichtiger Aspekt. Und last but not least erlernen die Heranwachsenden gerade beim aktiven Musizieren eine gute Arbeitstechnik, denn unabhän­gig von der Begabung braucht es schlichtweg intensives Üben, um die Bewegungen geschmeidig zu machen. Beim Musizieren ist die Integration von Kopf (Kognition), Herz (Emotion) und Hand (Motorik) wie auch das selbstzentrierende Hineinspüren in besonderem Masse gewährleistet.

Doch auch hier gilt: Wenn Musizieren in erster Linie als weitere Gelegenheit zu Leistungs­beweisen und Wettbewerbsstress eingesetzt wird, werden die gerade in der Musik so positiven Aspekte der Selbstzentrierung und Gefühlsentwicklung zunichte gemacht oder zumindest deutlich reduziert. Kinder sollen Musik spielen dürfen und sich damit auch zeigen dürfen, aber weder sich noch anderen etwas vor-spielen müssen.

Glück ist relativ, so der Anfang dieses Textes. Und es ist ein grosses Glück, sich dem Spielen hingeben zu können. Wird Begabtenförderung per se als Glück betrachtet und zu einer absoluten Zielvorgabe, kommt Macht ins Spiel. Dann ist Förderung kein Glück mehr. Begabtenförderung sollte m.E. eine Erweiterung des Erlebensspektrums und die Integration von Denken und Fühlen zum Ziel haben. Förderung bedeutet dabei, ein relatives Optimum im konkreten Lebensumfeld zu schaffen, nicht eine absolute Maximierung. Erst dann, wenn es in der Begabungsförderung nicht mehr darum geht, dass das Kind sonst zu kurz kommen würde, wird die Förderung nicht mehr druckreich begleitet, erst dann kann das Kind unverfänglich und aus sich selbst heraus seinen Interessen nachgehen. Nur im unverfänglichen und absichtslosen Spiel ist innere Zentrierungsfähigkeit möglich. Verspielen wir sie nicht.

Karin Thalmann-Hereth

 

Literatur:

Freud, A. (1994). Das Ich und die Abwehrmechanismen (engl. Originalausgabe 1936). Frankfurt a. Main: Fischer TB.

Petzold, H. G. (1993/2003). Integrative Therapie: Modelle, Theorien und Methoden für eine schulenübergreifende Psychotherapie. 3 Bde. (überarb. und erg. Neuauflage 2003). Paderborn: Junfermann.

Petzold, H. G. (2009). Vorwort: Hochbegabungen, „brain wizards“ - Chance und Schicksal. In K. Thalmann-Hereth, Hochbegabung und Musikalität (S. 11 - 18). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften der Springer Group.

Schäfer, G. (2007). Bildungsprozesse im frühen Kindesalter. www.offenburg.de/dynamic/assets/schaefer.pdf.


Thalmann-Hereth, K. (2009). Hochbegabung und Musikalität. Integrativ-musiktherapeutische Ansätze zur Förderung hochbegabter Kinder. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften der Springer Group.

 

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