EMTC Kongress 2022

Vom 8. – 12. Juni 2022 fand in Edinburgh (Schottland) der 12. Europäische Musiktherapie-Kongress EMTC statt. Zwei unserer SFMT-Mitglieder, Betty Legler und Anne Schnell haben am Kongress teilgenommen und berichten aus ihrem persönlichen Blickwinkel.

«Please disturb»

Ganz nach dem Motto der diesjährigen Konferenz startete diese mit einem Mini-Konzert des Musikers und schwer körperlich beeinträchtigten John Kelly, allerdings live gestreamt aus dessen Wohnzimmer. Ebenfalls per Livestream hielt Prof. Brendan McCormack von Sidney (AUS) aus die Eröffnungs-Keynote «The Artistry and Creativity of Knowledge – the Rhythm, Movement and Flow of Authentic Being». McCormack zeigte Forschungsansätze, die den Menschen und seine Kreativität ins Zentrum stellen und den Fokus auf die Gemeinschaft setzen.

Handeln unter Unsicherheit

Als Konsequenz der Erfahrungen mit der Pandemie wurde die Konferenz zum ersten Mal hybrid durchgeführt. Einerseits nahmen über 500 Personen live vor Ort teil, an der Queen Mary Universtität in Edinburgh. Gleichzeitig nahmen etwa 300 Personen online teil. Das aus 441 Abstracts kuratierte Programmangebot setzte voraus, dass man an jedem der vier Konferenztage eine Auswahl traf. Umso wertvoller fanden wir, dass Aufzeichnungen eines Grossteils der Präsentationen den Teilnehmenden nach der Konferenz online zur Verfügung standen.

«Connectedness» und «Inclusion»

«Connectedness» und «Inclusion» waren die grossen Themen dieser EMTC. Das Engagement des Kernteams war quasi Funkengenerator für beides. Philippa Derrington (Co-Chair), Giorgos Tsiris (Co-Chair), Luke Annesley (OC-Chair) und Claire Flower (Scientific Committee Chair) bescherten uns mit allzeit spürbarem, leidenschaftlichem Engagement vier hoch getaktete, bereichernde und nährende Tage. Sie taten dies gemeinsam mit Esa Ala-Ruona (Präsident EMTC), Alice Pehk (Vizepräsidentin, Quästorin), Melanie Voigt (Vizepräsidentin und Generalsekretärin EMTC), Eleanor Tringle (Chair British Association for Music Therapy) und Andrew Langford (CEO British Association for Music Therapy) und mit der Unterstützung von Studierenden der QMU.

Die Community von Musiktherapeut:innen aus 32 Ländern lebten «Connectedness» in einem aktiven und durchaus kritischen Austausch - besonders wichtig nach Corona und in einer Zeit grosser politischer, ökonomischer und ökologischer Herausforderungen! Wir hatten dabei das Glück, einen unbeschwerten Moment zwischen Pandemie und einer unbekannten nahen Zukunft zu erwischen. Das Bedürfnis nach Begegnungen und Austausch in der musiktherapeutischen Gemeinschaft war überall und zu jeder Zeit spürbar und kam unter anderem an der «Night at the Museum» zum Ausdruck, wo ausgelassen Kreis- und Reihentänze zu traditioneller schottischer Musik aufs noble Parkett gelegt wurden.

«Inclusion» war das andere grosse Thema, das in vielen Präsentationen Raum fand und die Gemeinschaft zum Nachdenken und Aktivwerden einlud. Besonders berührend fanden die Autorinnen die Präsentation von Nate Holder und Jamal Glynn. Holder thematisierte die Schwierigkeit, als Schwarzer (in England) eine Therapeut:in zu finden, der/die die afrikanische Kultur in einer Tiefe versteht, welche eine substanzielle therapeutische Arbeit überhaupt ermöglicht. Musiktherapeut Glynn präsentierte die Steeldrum als symbolgeladenes, in der jamaikanischen Community gar politisches Musikinstrument. Wie einfach die Steeldrum in der Musiktherapie eingesetzt werden kann, demonstrierte er ad hoc mit einem zufällig gewählten Mitarbeitenden der Universität. Es entstanden wunderbar triangulierte Resonanzmomente zwischen den beiden und dem Publikum.

Interkulturelle Begegnungen bekamen auch ausserhalb der Sessions viel (Spiel-)Raum – ganz dem EMTC-Motto «please disturb» entsprechend: Bei gemeinsamen Mahlzeiten, abends auf der Piazza oder in den von Luke Annesley geleiteten Jam-Sessions, an welcher Musiktherapeut:innen ihr breites musikkulturelles Spektrum miteinander teilten und verwoben – wunderbare Momente dieser Konferenz! Einen ebenso berührenden wie inspirierenden Schlusspunkt setzte die irische Sängerin Karan Casey, welche Einblicke in ihr politisches Engagement gab und wie sie als Friedensbotschafterin die Musik als Medium nutzt. Ihre Stimme a capella reichte aus, um uns alle in ihren Bann zu ziehen. Innert Minuten reagierte das Publikum spontan als mehrstimmiger Chor, mal Text erahnend, mal sanft summend. Man konnte den bevorstehenden Abschied förmlich spüren und eine über die vier Tage entstandene Verbundenheit, wie sie vielleicht nur möglich ist in einer Gemeinschaft, für die Resonanz eine Grundvoraussetzung ist.

Teilnehmende der Konferenz haben am Ende der Konferenz ihre Wünsche für die Zukunft geäussert: Integration von mehr beeinträchtigten Therapeut:innen in der Gemeinschaft sowie von afrikanischen, von trans-, bi- und homosexuellen Therapeut:innen; weniger Bewertung in der musiktherapeutischen Ausbildung, dafür mehr Fokus auf die Entwicklung der eigenen Identität als Musiktherapeut:in; mehr Integration von Technologie und von Studierenden in Forschung und Entwicklung.

Wir freuen uns schon jetzt auf die nächste EMTC 2025 in Hamburg. https://miz.org/de/nachrichten/13-europaeischer-musiktherapie-kongress-wird-2025-in-hamburg-stattfinden

Persönliche Favoriten der Autorinnen

Hier eine Auswahl von Präsentationen, die Anne Schnell und Betty Legler besonders gefallen haben:

  1. Betty: Movement data and you: How motion capture, video cameras, and smart watches can revolutionise music therapy research and evaluation. Emily Carlson (University of Jyväskylä, Finland) gab Einblick, wie mittels Technologien Persönlichkeitsaspekte wie z.B. Empathie, Emotion und Depression offengelegt werden können.
  2. Betty: Strategies for success in peer-reviewed publications: Insights from the Nordic Journal of Music Therapy editorial team. Orii McDermott, Joke Bradt, Bolette Daniels Beck, Imogen Clark, Monika Geretsegger, Maren Metell, Beth Pickard und Grace Thompson zeigten, worauf es ankommt, wenn man Fachwissen publizieren möchte.
  3. Betty: Caring with music: Creating a MOOC to enable caregivers to use music in their adult care work. Jenny Laahs, Janet MacLachlan (Nordoff Robbins, UK) stellten ein Konzept für den niederschwelligen Einsatz von Musiktherapie im pflegerischen Alltag vor.
  4. Anne: Es gab wenige Präsentationen zum Thema Sucht. Besonders gefallen hat mir die Präsentation Comparing music therapy interventions through craving and withdrawal in adults with substance use disorder on a detoxification unitvon Michael Silveman. Auch fand ich die Präsentation von Pamela Michaelides From Tiktok to Gameplay sehr interessant, weil sie aufgezeigt hat, wie neue Technologien in die Musiktherapie integriert werden können, um den Beziehungsaufbau zu unterstützen.
  5. Anne: Navigating Trauma-Related Pain with Music Therapy Entrainment von Susanne Metzler und Thomas Schrauth. Ein therapeutisches, sehr effektives Konzept zur stationären Behandlung langjähriger Schmerzen.
  6. Anne: Please don’t disturb the Silence, eine Reflektion über die Stille in der Musiktherapie. Eine sehr interessante Forschungsarbeit von vier Musiktherapeut.innen (Eric Pfeiffer, Sandra Lutz, Monika Smetana, Christine Stolterfoth) aus drei verschiedenen europäischen Ländern.

Anne Schnell ist Musiktherapeutin an der UPK Basel, mit Schwerpunkten Erwachsene, Sucht, Gerontopsychiatrie und Forensik.

Betty Legler ist Musikerin, Unternehmerin und Studierende im 7. Sem. MAS Klinische Musiktherapie ZHdK. Ihre Schwerpunkte sind Therapeutisches Songwriting, Zukunftstechnologien in der Musiktherapie, Transdisziplinäre Forschung und Entwicklung.

 

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