Erinnerungen Fritz Hegi

Ein berufungs-politischer Weg                                                       

O weiha – 40 Jahre zurückerinnern, um das Folgende reflektieren zu können:

In den 1970er Jahren liefen im deutschen Herdecke während meiner damals 7-jährigen Hamburger Studien- und Lehrzeit die Seminare, die sich als Nährboden einer neuen, aktiven Musiktherapie-Richtung entpuppen sollten. Mit dabei waren unter vielen anderen Johannes Eschen, Katja Loos, Eckhard Weymann, Rosemarie Tüpker, Studenten und Zugewandte.

Nach meiner Rückkehr in die Schweiz traf ich den Musiker und Musiktherapeuten Urs Voerkel. Wir gründeten die Werkstatt für improvisierte Musik (WIM) in Zürich und waren als aktive Vertreter der tiefen Überzeugung, dass deren unmittelbare Selbsterfahrung und Ausdrucksgestaltung ein bedeutendes musiktherapeutisches Potential besass. Diese durch Zuhören geprägte Musik befreite uns im Zusammenspiel von festgefahrenen Mustern der konventionellen Musizierpraxis. Daraus entwickelten wir in tagelangen Diskussionen, Übungen und Konzerten eine musiktherapeutische Haltung des experimentellen Jetzt-Kontaktes beim Improvisieren. Meine später erfolgte Gestalttherapie-Ausbildung bei Miriam und Erv Polster in San Diego (Kalifonien) erwies sich als absolut kompatibel mit dem Prinzip einer Beziehungsgestaltung im Hier und Jetzt.

1982 gründeten wir den Schweizerischen Fachverband für Musiktherapie zusammen mit Marie Therese Comte, Verena Keller, eben Urs, und wer war denn sonst noch dabei? Ihr Leser erinnert euch vielleicht noch an die andern.

1984 besuchte ich den 1. Weltkongress für Musiktherapie in Heidelberg, aufgerufen über meine Deutschland-Herdecke-Beziehungen und die entstehenden Ausbildungen, und kehrte mit dem Auftrag zurück, auch in der Schweiz eine Ausbildung mit diesem Vernetzungshintergrund aufzubauen. Katja Loos wurde zu meiner einflussreichsten Lehrmeisterin, Förderin und geistigen Seelenverwandten.

Katja Loos und der Autor, an ihrem 75. Geburtstag, genauso alt wie der Autor heute selber ist.

1985 scharte sich um Urs und mich im Künstlerhaus Boswil ein interessierter Kreis zusammen mit Marie Therese Comte, Gerda Bächli, Randy Coray, René Beguin, Johanna Spalinger, Walter Klay, Willy Gohl, Emmy Henz-Diemand. Habe ich jemanden vergessen? 

Dann stiessen auch die späteren Ausbildungs-Co-Leiterinnen der „Berufsbegleitenden Ausbildung Musiktherapie“ (bam) Sandra Lutz und – da Urs schwer erkrankte – seine Schwester Maja Rüdisüli dazu, ein Glücksfall, weil ich mit ihr bis heute unsere Praxis und Freundschaft teile.

Gemeinsames Ziel war und blieb die Entwicklung einer Musiktherapie mit humanistischem Ansatz und einer vorwiegend aktiven Interventionspraxis, wie Katja Loos sagte: „Die Improvisation ist der Königsweg“. 1986 veröffentlichte ich mein erstes, bis heute gefragtes Buch „Improvisation und Musiktherapie“. Diese Pionierlaunen und die berufspolitische Arbeit im SFMT liessen uns die erste 2-jährige bam-Ausbildung auf die Beine stellen. Durch den allseitigen Zuspruch entwickelte sich das selbständige Modell im Laufe vieler Jahre bis zum 4-jährigen Curriculum „Klinische Musiktherapie“ weiter. Es wurde 2003 vom Fachhochschulrat bewilligt und 2006 als „Master of Advanced Studies“ (MAS) an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) aufgenommen. Im selben Jahr wurden wir in die damals europäisch beachtete „Charta für Psychotherapie-Ausbildungen“ eingeladen.
(Detaillierte Angaben dieses Prozesses zur akademischen Anerkennung stehen in unserm Band Hegi/Lutz/Rüdisüli: „Musiktherapie als Wissenschaft“, Grundlagen, Praxis, Forschung und Ausbildung. Tabellarische Entwicklung, S. 104).

Seither haben wir weit über 100 Studentinnen und Studenten ausgebildet, viele Vernetzungen über die Lehrkräfte aus dem deutschsprachigen Europa gewonnen und zahlreiche neue Stellen mit unseren Absolventen schaffen und besetzen können. Durch den wachsenden institutionellen und medialen Ruf hat sich auch der SFMT dauernd vergrössert und konnte neue berufspolitische Ziele durchsetzen, zum Beispiel in Schulen, Kliniken und der Heilpädagogik.

Hochs und Tiefs gehören zu einer dynamischen Entwicklung der neuen, vor allem der künstlerischen Therapieformen. Der Weg ist nicht zu Ende – und bis heute freue ich mich, auf ihm zum promovierten Musikwissenschaftler und ZHdK-Professor geworden zu sein, unzählige Kurse, Seminare Artikel und Bücher realisiert zu haben und weiterhin meine selbständige Praxis führen zu können.

Enttäuschend bleiben die immer noch zu tiefen Entlöhnungen vieler Praktizierender, eine zu geringe Akzeptanz der stark gewachsenen Forschung und Wirksamkeitsbelege, die Nichtanerkennung des lange vorbereiteten Zusatzjahres Musikpsychotherapie mit Schwerpunkt Diagnostik, die Tendenz, Ausbildungen von der akademischen Ebene auf einer tieferen Stufe zu etablieren und dadurch den Weg zu einer besseren Krankenkassen-Anerkennung zu erschweren.

Persönlich vertrete ich berufspolitisch und praktisch – auch 10 Jahre nach der sogenannten Pensionierung – das Berufsbild Musikpsychotherapeut. Diese Identität hält mich hoffentlich noch länger mit Freude an der Arbeit mit Klienten und Lehrtherapien. Ich darf erfahren, wie die von mir entwickelte Komponentenlehre auf die verschiedenen psychopathologischen Behinderungen mit Klang-Gefühl, Lebens-Rhythmus, Ausdrucks-Melodie, Beziehungs-Dynamik und Form-Wandel spezifisch einzuwirken vermag. Die Heilenergie der Musik bis zur spirituellen Sinnstiftung übersteigt die Dimensionen des Gesprächs. Sie berührt Geist, Seele und Körper gleichermassen ganzheitlich. Was für ein Geschenk.

Ich bin meinen Wegbegleitern und Wegbegleiterinnen, meiner Familie, meinen Lehrmeisterinnen und Vorbildern zutiefst dankbar und trage diese Bereicherung, auch durch die Rückendeckung des Fachverbandes, auf vielen Ebenen beruflich und ethisch weiter.

Welche Tätigkeit könnte denn mehr be-Geist-ern, als die Beziehungsfähigkeit von Menschen mit Musik zu nähren. 

 

Fritz Hegi

 

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