Bericht Fachtagung Neurorehabilitation, Oktober 2022

Alles nur psychisch?

Wie begleitet man jemanden, der eine funktionelle Störung hat, welche nicht erklärt werden kann? Wie behandelt man Patient:innen, bei denen man keine Ursache für ihre Symptome findet? Sie zeigen zwar neurologische Zeichen, wie Lähmungserscheinungen oder Sensibilitätsstörungen, diese sind jedoch nicht auch auf ein bestimmtes Ereignis oder eine strukturelle Veränderung zurückzuführen. Ist so ein Mensch in einer somatischen Klinik am richtigen Ort oder müsste er oder sie eher in einer Psychiatrie behandelt werden? Diesen Fragen, und somit dem Krankheitsbild der dissoziativen Bewegungsstörung oder Konversionsstörung, sind wir am Fachtreffen der Kreativtherapien in der Neurorehabilitation im Oktober 2022 nachgegangen.

Dieses Jahr trafen wir uns im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil, wo wir von Jutta Simons (Kunsttherapeutin) und Silvia Studer (Musiktherapeutin) herzlich empfangen wurden.

Zuerst erhielten wir von Marianne Boller (Leiterin Psychologie im SPZ) einen Überblick über die Organisationsstruktur des SPZ.

Anschliessend stellte die Psychologin Corinne Stadler neueste Forschungsergebnisse zu den nachweisbaren anatomischen Veränderungen im Gehirn von Patient:innen mit sogenannten dissoziativen Bewegungsstörungen vor. Für viele Patient:innen eine Entstigmatisierung und für viele Health Professionals eine Erleichterung! Es hilft, wenn man ein Phänomen, wenigstens teilweise, erklären kann. Denn immer noch sind viele Dinge im Zusammenhang mit dieser Krankheit unklar. Jedoch zeigt die Forschung, dass bei diesen Patient:innen ein Problem der Programmierung im Gehirn besteht. Das heisst, die Strukturen/Anatomie des Gehirns („Hardware“) sind intakt, die Gehirnfunktionen („Software“) aber sind beeinträchtigt. Es kommt zu einer patho-physiologischen Hirnaktivierung und somit auch zu einer dysfunktionalen Interaktion verschiedener Hirnbereiche. Dies führt zu Störungen der Motorik und Sensorik. Diese Erkenntnisse führen dazu, dass ein neuer Name für diese Krankheit vorgeschlagen wird: funktionelle neurologische Störung.

Bei der Behandlung dieser Patientengruppe sind eine einfühlsame Art der Kommunikation und eine gute Psychoedukation sehr wichtig. Aufgrund der schwierigen Diagnosestellung und des oft nicht direkt kausal nachvollziehbaren Krankheitsbildes haben diese Patient:innen vielfach belastende Erfahrungen in Bezug auf die Anerkennung ihres Leidens gemacht. Das Etablieren einer positiven und wertschätzenden Grundhaltung ist daher auch im Rahmen der Kunst- und Musiktherapie zentrales Therapieziel und eine wertvolle Möglichkeit zu heilsamem Vertrauensaufbau.

Nach einem feinen Mittagessen an der Sonne mit wunderbarer Aussicht auf den Sempachersee ging es am Nachmittag mit einer Fallvorstellung von Jutta Simons weiter. Sie berichtete uns, wie sie eine junge Patientin mit einer funktionellen neurologischen Störung kunsttherapeutisch begleitet hat. Mit Hilfe von Postkarten, aus denen sich die Patientin in jeder Therapiestunde eine aussuchte, entstand ein Stimmungskalender. Eine Kopie der Karten wurde in ein Heft geklebt und die Patientin wählte zu jedem Bild einen Titel, welchen die Therapeutin neben das Bild ins Heft schrieb. Die Symptome dieser Patientin wurden während des Reha-Aufenthaltes immer stärker. Das ging so weit, dass sie beatmet werden musste. Eine der grössten Herausforderungen für die Therapeutin war es daher, die Gefühle der Patientin mitzutragen und sogar ihren Sterbewunsch ernst zu nehmen.

Nach einem gemeinsamen Austausch über das Gehörte, sowie einigen organisatorischen Themen, ging eine lehrreiche Fachtagung zu Ende. Vielen Dank den Organisatorinnen und dem SPZ, dass wir bei euch zu Gast sein durften.

Elisabeth Lauper

 

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