15th World Congress of Music Therapy, Tsukuba, Japan
Musiktherapie – weltweit
Notizen zum 15th World Congress of Music Therapy in Tsukuba, Japan, 3. - 8. Juli 2017,
organisiert von der WFMT (World Federation of Music Therapy)
Sehr freundlich, unter vielen Verbeugungen, mit musikalisch klingenden japanischen Worten und dann doch ergänzt durch die englische Übersetzung wurden 2800 Teilnehmende aus über 49 Ländern in der ‚Stadt der Wissenschaft’ begrüsst, darunter auch wir zwei Schweizerinnen... ‚Moving Forward with Music Therapy – Inspiring the Next Generation’ war der dynamische Titel, unter dem alle Vorträge, Round Tables, Workshops und Posterpräsentationen über vier Tage verteilt stattfanden, auswählbar aus dem 130-seitigen Programmheft.
Die Eröffnungszeremonie wurde spannend durch die Musik: zuerst beeindruckte der kraftvolle und tänzerische Auftritt der japanischen Trommler/-innen. Daran anschliessend erklang die sehr fremd klingende Musik einer Gruppe, die mit traditionellen japanischen Instrumenten (Trommeln, Saiteninstrumenten, Flöten und Gesang) einen uralten Heilgesang (Sanbaso) darbot. Die Einladung an das Publikum zum Einstimmen in einen Rhythmus und eine Tonfolge liess eine Verbindung zwischen Musizierenden und Publikum entstehen.
An jedem Vormittag wurde in ‚Spotlight Sessions’ ein aktuelles Thema der Musiktherapie aufgegriffen und von mehreren Referent/-innen aus verschiedenen Regionen der Welt beleuchtet:
· Music Therapy and Well-Being of Older Adults
· Music Therapy and Trauma Work
· Research of Music Therapy – Evidence and Story
· Music in Music Therapy and the Cultural Context
Alle Vorträge begeisterten durch fundiertes Fachwissen, gut aufgebaute Präsentationen und die Chance, etwas vom jeweiligen Kontext des vertretenen Landes und von den persönlichen Haltungen und Erfahrungen der Referent/-innen zu hören.
Mayo Kondo aus Tokio sprach zum Thema ‚Lebensqualität im Alter’ von Japans Bevölkerung, die die längste Lebenserwartung der Welt hat. 2025 werden von 127 Millionen Japaner/-innen ein Drittel über 65 Jahre alt sein, davon werden voraussichtlich 7 Millionen Menschen an Demenz erkranken. Diese Tatsache stellt die Forderung an die Gesellschaft, sich mit dieser Erkrankung auseinanderzusetzen und es stellt den Anspruch an die Musiktherapie, ihren Beitrag für ein menschenwürdiges und lebensbejahendes Dasein zu leisten. Zum selben Thema berichtet Karyn Stuart aus Südafrika von der grossen Ungleichheit in der Versorgungslage von Menschen mit dementieller Entwicklung und dem erschwerten Umgang durch grosse ethnische und kulturelle Unterschiede. Die 50 Musiktherapeut/-innen des Landes (bei 56 Millionen Einwohnern) haben sich das Ziel gesetzt, das Pflegepersonal auszubilden und soweit wie möglich in die musiktherapeutische Arbeit einzubinden. Stuart erwähnte auch die kleine qualitative Pilotstudie zu diesem Ansatz mit vier Betroffenen und vier Pflegekräften. Sie sieht darin eine Möglichkeit, auch die Forschung mit einzubeziehen.
Traumatherapie kann nach den heutigen Erkenntnissen nur noch unter Einbezug der Erkenntnisse der Neurobiologie durchgeführt werden. Die Unterstützung der Resilienz ist dabei eine wichtige Aufgabe der Musiktherapie. Nach diesem einführenden Postulat durch die Amerikanerin Gene Behrens war der Bericht zweier Referentinnen bedeutsam, die ihre musiktherapeutische Arbeit vor Ort beschrieben, beide selbst traumatisiert durch grosse Erdbeben in Japan (Sanae Hori) und Chile (Mireya Gonzalez). Hori berichtete von betroffenen Menschen, die sich nach dem ersten Kampf um das Überleben langsam für das musiktherapeutische Angebot öffneten. Gonzales konnte für ihre Arbeit auf die fachliche und finanzielle Unterstützung der WFMT zurückgreifen und diverse therapeutische Gruppen aufbauen.
An dieser Stelle wurden der Sinn und die Aufgabe eines Weltverbandes über den Wissensaustausch hinaus sehr deutlich und liess die Frage aufkommen, warum eigentlich die Schweiz nicht (oder noch nicht?) zu den Mitgliedsländern gehört. Eine gute Vernetzung ist gerade in diesem Bereich wesentlich, da sich Desaster oft global ereignen.
Das Bemühen um Evidenz in der musiktherapeutischen Forschung und die vielen Beispiele von kleinen und grossen, geplanten und durchgeführten Untersuchungen sollen die Geschichten und die Prozesse nicht in den Hintergrund drängen. Hyun Ju Chong aus Korea betonte, dass sie zur Therapie mit Musik gehören. Sie bilden mit Anfang, Verlauf und Ende, die sowohl zu jeder Geschichte als auch zu jeder Musik gehören, die Verbindung zur Evidenz. Katrina Skewees Mc Ferran aus Australien lud in motivierender Art zur Zusammenarbeit ein. Der Austausch über bestehende Netzwerke macht Forschung über Erdteile hinweg möglich.
Viele Vorträge – auch über die erwähnte Spotlight Session hinaus – thematisierten den Einfluss des kulturellen Kontextes auf Musik, Musiktherapie und auf das Verständnis von Wirkfaktoren und Therapeutenverhalten.
Die traditionelle japanische Musik beinhaltet Ansätze für musiktherapeutische Techniken, alte buddhistische Schriften beschreiben die heilende Wirkung von Gesang und Tanz. Die grosse Eigenständigkeit der sehr natur- und körpernahen Musik Japans veränderte sich durch die politische und wirtschaftliche Öffnung Japans für westliche Einflüsse mit Beginn der Meiji-Ära ab ca. 1870. Rika Ikuno-Yamamoto aus Japan beschrieb in ihrem Vortrag die damit verbundenen grossen Veränderungen in vielen Bereichen des Lebens, wie beispielsweise in Bezug auf Ernährung, religiöse Feste, Kleidung und auch auf Musik. Laut ihren Erläuterungen wird mit grosser Geschicklichkeit auch heute noch Traditionelles und Westliches verbunden, das Mischen der Stile in Bezug auf die Musik beeinflusst vor allem metrisches und harmonisches Denken stark. Die ersten japanischen Musiktherapeutinnen (fast ausschliesslich Frauen) wurden in den vergangenen 20 Jahren in den USA, Australien oder in Europa ausgebildet.
Ti Liu-Madl, die als Chinesin in Hamburg Musiktherapie studiert hat und jetzt in Österreich lebt und arbeitet, befragte deutschsprachige Studierende und Lehrende Musiktherapeut/-innen und in Deutschland und Österreich ausgebildete Asiat/-innen (hauptsächlich aus Japan, China und Süd-Korea) zum Verständnis von Improvisation in der Musiktherapie und der Einschätzung des kulturellen Einflusses. Unter dem Titel „Improvisational Music Therapy and transcultural challenges among Asians” präsentierte sie die Ergebnisse der Fragebogenstudie. In der Zusammenfassung zeigen sich folgende Aspekte: es bestehen Unterschiede in der sozialen Struktur (Individualismus vs. Kollektivismus: in der asiatischen Gesellschaft ist die Gruppe der Einzelperson übergeordnet), im Selbstkonzept (Asiatinnen beschreiben eher ein abhängiges Selbst), in der kulturellen Anthropologie (der europäischen Kultur der Schuld steht in der asiatischen Einschätzung die Kultur der Scham gegenüber) und in der geistigen Gesundheit (diese wird eher in der Anpassungsfähigkeit als in der Autonomie gesehen).
So war beispielsweise für asiatische Musiktherapiestudierende die Gruppenmusiktherapie zunächst ein kultureller Schock. Sie suchten in den Improvisationen nach Struktur und Führung, strebten nach Harmonie und wollten auch nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Mit fortschreitenden Erfahrungen wurde dann die Gruppenmusiktherapie als grosse Chance wahrgenommen und führte zu wichtigen Entwicklungsschritten.
Zum Schluss nochmals Musikalisches: besonders beeindruckt hat mich eine ‚Wadaiko Trommel Performance’, die in der Mittagspause in der Haupthalle stattfand. Eine ca. 15-köpfige Gruppe, Jugendliche und Erwachsene, darunter Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Down-Syndrom spielte auf unterschiedlich grossen japanischen Trommeln. Ihre Bewegungen erinnerten an Tai-Chi-Abläufe, sie waren genau choreografiert und exakt koordiniert und mündeten in ein dynamisches Anschlagen der Trommeln. Verschiedene Interaktionen fanden zwischen den Spielenden statt – Zuspielen, Nachspielen, Kommunikation war zu beobachten – die Ausdruckskraft führte vom Pianissimo zum Fortissimo, auf den Höhepunkten kamen Schreie dazu und die dynamischen Rhythmen, verbunden mit dem Klang der Trommeln zogen alle Zuhörenden in ihren Bann. Begeisterung, Freude und Stolz sprachen aus den schweissnassen Gesichtern, als die Performance zu Ende war und die Spielenden den Applaus entgegennahmen.
Hier findet Selbstwirksamkeit bis hin zu Trance-nahem, intensivstem Ausdruck in einem absolut sicheren Rahmen statt. Schon beim Zuhören und Zusehen war die gesundheits-fördernde Wirkung spürbar, und die Lust mitzumachen und Teil des Ganzen sein zu dürfen, war gross.
Beate Roelcke
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