10. EMTC-Konferenz 2016 in Wien – ein Bericht
Vom 5. bis 9. Juli 2016 fand die 10. EMTC-Konferenz mit dem Titel A Symphony of Dialogues an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien statt. Die Konferenz wurde vom ÖBM (Österreichischer Musiktherapieverband), der mdw (Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien) und der WIM (Wiener Institut für Musiktherapie) in Zusammenarbeit mit der European Music Therapy Confederation organisiert. Mit dieser 10. EMTC-Konferenz wurde zugleich das 25-jährige Bestehen der EMTC gefeiert. So war es denn mit ca. 600 Teilnehmenden aus aller Welt auch die bisher grösste EMTC-Konferenz.
Das Scientific Commitee unter der Leitung von Thomas Stegemann und Karin Mössler umfasste KollegInnen aus 13 europäischen Ländern, darunter Friederike Haslbeck aus der Schweiz. Sie hatten die Aufgabe, von ca. 400 eingereichten Abstracts aus 42 Ländern ca. 100 für das vielfältige Programm an Präsentationen, Workshops und Round Tables auszuwählen. Mit unvergleichlichem Engagement, viel Humor, Scharfsinn und deutlich spürbarer Freude an der gemeinsamen Aufgabe bildeten Monika Geretsegger, Thomas Stegemann und Elena Fitzthum das „local organizing commitee“ und wirkten als Dreh- und Angelpunkt der ganzen Konferenz. Unterstützt wurden sie von ca. 40 FachkollegInnen sowie ca. 50 Wiener MusiktherapiestudentInnen.
Eröffnet wurde die Konferenz am 5. Juli im Gartenbaukino mit einem Konzert des virtuos- witzigen „Federspiel“-Bläserensembles, verschiedenen Reden sowie einem eigens für die Konferenz gedrehten (nicht allzu ernst zu nehmenden) „Dokumentarfilm“ zur Geschichte der Musiktherapie in Österreich.
Wer Lust hat, einige sonst aus ernsteren Kontexten bekannte KollegInnen von einer ganz anderen Seite zu entdecken, dem sei wärmstens empfohlen, sich den inzwischen auf Youtube abrufbaren Film zu Gemüte zu führen: EMTC2016 Opening film - a mock documentary: "The true history of music therapy in Austria"
Besonders gefreut hat mich, dass an dieser Konferenz viele Schweizer KollegInnen teilgenommen und teils auch ihre eigene Arbeit präsentiert haben. So gab es in Form von Workshops, round tables, Posters, Referaten (oral presentation) und Filmen insgesamt ca. 15 Beiträge aus drei Sprachregionen (D,F,I) der Schweiz. Diese deckten die unterschiedlichsten Bereiche und Themen ab: Neonatologie und Arbeit mit Risikoschwangeren, Kindertherapie und Angehörigenarbeit, Erwachsenenpsychiatrie, neurobiologische Aspekte des Singens in der Psychotherapie, Schmerztherapie, Krankheitsbewältigung, Demenz und Alzheimer, Supervision und Musiktherapieausbildung – ein sehr breites Spektrum.
Diese Vielfalt an Beiträgen aus der ganzen Schweiz deute ich als erfreuliches Zeichen, dass wir trotz mancher berufspolitischer Herausforderung eine äusserst lebendige Schweizer Musiktherapie-Szene haben, die wacker am Gedeihen und Wachsen ist und die sich auf einem fachlichen Niveau bewegt, dass sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann.
Von Seiten der EMTC gab es einige Neuerungen, die vorerst probeweise eingeführt und ausprobiert worden sind. So wurde grossen Wert darauf gelegt, dass alle Fachbeiträge ethische Richtlinien beachten, welche den Persönlichkeitsschutz respektieren (z.B. keine Videobeiträge, in denen die Identität der Klienten erkennbar ist) und dass zu Beginn der Veranstaltungen möglichst geklärt wurde, was gefilmt und/oder fotografiert werden durfte. Dazu gab es viele positive Rückmeldungen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass diese Bemühungen noch ausgebaut werden sollten und dass das Respektieren dieser Regeln nicht für alle selbstverständlich ist. In einem Workshop musste beispielsweise ein Teilnehmer nachdrücklich dazu angehalten werden, sein Filmmaterial zu löschen, nachdem er andere TeilnehmerInnen ungefragt während einer Übung gefilmt hatte; in einem anderen Workshop hielt es der Präsentierende für selbstverständlich, dass auch Frau und Kinder willkommen seien und dass sie ihren Papa mitsamt den WorkshopteilnehmerInnen bei der Arbeit filmen dürften. An solchen Beispielen zeigt sich, wie kompliziert die Verhandlungen darüber sind, was als ethisch korrekt, was als inakzeptabel empfunden wird und wer darüber zu entscheiden hat; dies zeigt sich ebenso in Diskussionen zwischen den EMTC-Delegierten während der Sitzungen.
Ebenfalls neu war, dass T eilnehmerInnen aus europäischen Ländern mit niedrigem Bruttosozialprodukt erstmals eine reduzierte Teilnahmegebühr beantragen konnten und dass die ganze Konferenz als „green meeting“ organisiert war.
Eine weitere Neuerung waren die „dialogue sessions“, die jeden Mittag stattfanden, und bei denen jeweils eine Persönlichkeit eines anderen Fachgebietes (Neurowissenschaften, Wirtschaft, Komposition) zum Gespräch mit einer MusiktherapeutIn eingeladen wurde.
Sehr erfrischend ist mir ein „round table“ in Erinnerung geblieben, an dem drei Kolleginnen (E. Fitzthum, M. Oberegelsbacher, S. Lutz Hochreutener) zeigten, dass auch ernste, „trockene“ Themen äusserst abwechslungsreich und lustig vermittelt werden können. So verpackten sie die Informationen teilweise in kurze, selbst gespielte Sketches und bezogen das Publikum regelmässig in die Diskussion zum Thema ein. Eine schöne Form einen Round Table zu „bespielen“ und das vom reichen Konferenzprogramm müde Publikum aufmerksam zu halten. Und nicht zuletzt bietet ein solcher Kongress gute Gelegenheiten, vor und mit FachkollegInnen (alleine oder zu mehreren) die eigene Arbeit zu präsentieren, zu erproben, zu hinterfragen. Wo sonst können wir mit so vielen interessierten, mitdenkenden und kritische Rückmeldung gebenden Menschen unsere Arbeit vorstellen und überprüfen? Ich finde es bereichernd, lernreich und motivierend – auch wenn es jedesmal etwas Mut braucht, das Eigene zu zeigen.
Ein Gedanke hat mich besonders beschäftigt: Ich war beeindruckt, welch’ grosse, bestens organisierte und trotzdem immer entspannt wirkende Konferenz mit hochkarätigen Fachbeiträgen aus aller Welt unsere österreichischen KollegInnen auf die Beine gestellt haben. Das Ganze umrahmt von einem kulturellen Programm, das die Messlatte für nachfolgende KonferenzorganisatorInnen sehr hoch gesteckt hat. Da es an der GV auch darum ging, wer die nächsten Konferenzen organisieren würde, ertappte ich mich mehrmals bei dem Gedanken, die Schweiz und unsere Musiktherapie-Community seien halt einfach zu klein dafür. Bei genauerem Nachsinnen wurde mir jedoch bewusst, dass unsere Nachbarn uns zahlenmässig nicht so viel voraus haben wie es den Anschein hat: die beiden österreichischen Musiktherapieverbände zählen gemeinsam ungefähr gleich viele Mitglieder wie unser Verband (je ca. 260 MusiktherapeutInnen)1; in Österreich leben ca. 8.5 Mio. Einwohner, in der Schweiz ca. 8 Mio.
So interpretiere ich die „gross und stark“ wirkende Musiktherapieszene in Österreich also als Folge davon, dass die Musiktherapie als Beruf in Österreich gut verankert ist und über viele Jahrzehnte wachsen konnte. In der Schweiz sind wir auch auf gutem Wege, stehen historisch gesehen aber an einem anderen Punkt.
In diesem Sinne dürfen wir uns ein Motto von Janos Marton, dem Begründer und Leiter des Living Museum New York, zu Herzen nehmen: „think grandious“ (mündliche Mitteilung von Rose Ehemann, Gründerin und Leiterin Living Museum Wil). Durch Visionen kann aus Kleinem Grosses wachsen.
Schliessen möchte ich mit Stimmen von KollegInnen zur Konferenz sowie weiteren Stimmungsbildern aus Wien.
„Nebst der Fülle von fachlich spannenden Einzelvorträgen und qualitätsvariierenden Workshops waren für mich die Begegnungen und der Austausch mit MusiktherapeutInnen aus verschiedensten europäischen und nicht-europäischen Ländern besonders anregend. Ich war auch beeindruckt von der Bandbreite der Ausbildungscurricula; von Pioniergeist geprägten Kleinstschulen bis zu professionalisierten Ausbildungen auf Hochschulebene.
Was jedoch wirklich im Herzen als Erinnerung bleibt, ist die Gruppe von über 600 Menschen, welche alle in Bereichen der Musiktherapie tätig sind und die vielen jungen MusiktherapeutInnen, welche hoffnungsvoll für die musiktherapeutische Zukunft stimmen. Allen voran die Studierenden der Wiener Schule, welche durch ihre jugendliche Frische und Offenheit die Gäste kompetent und herzlich bei allen organisatorischen Fragen betreut haben. Die spürbar gute Stimmung unter den Studierenden, die musikalischen Intermezzi im Freien oder der eigens für den Kongress komponierte und berührend vorgetragene Song zum Kongressausklang haben wesentlich dazu beigetragen, mich mit einem Gefühl der Verbundenheit und des Aufgehoben-Seins an den EMTC Kongress zu erinnern“. (Thomas Weibel)
„Die EMTC-Konferenz war super organisiert und dies in einem lebendigen Gleichgewicht mit viel Freiraum für Kontakte über Landesgrenzen, Praxisfelder, Themenschwerpunkte und wissenschaftliche Ansätze hinweg. Nebst der weitgehend hohen Qualität der Vorträge, Workshops und round tables hat dazu auch das schöne Rahmenprogramm beigetragen – als Höhepunkt das festliche Dinner mit Tanz in einem Saal des Wiener Rathauses: der Kongress hat getanzt. Wahrlich eine symphony of dialogues, die wir erleben durften.“ (Sandra Lutz)
„Eine Teilnahme an einem internationalen Musiktherapie Kongress bedeutet für mich ein Relativieren, Erweitern meiner eigenen Vorstellungen, Methoden und meines Fachwissens. Ausserdem inspiriert eine Teilnahme im persönlichen wie fachlichen Austausch mit neuen und alten Bekannten, mit Freunden und dient der Vernetzung.
Das Einbringen meiner eigenen Arbeit mittels Workshop, Referat oder Poster bedeutet für mich primär das Erweitern, Etablieren meiner bisher wenig erforschten Fachrichtung. Es ist ein zur Verfügungstellen und Teilen meines Wissens mit Fachkolleginnen und dem fachlichen Austausch.
Während der Vorbereitungen ist es ein umfassendes Lernen im Vermitteln von Wissen sowie Recherche in meinem Fach. Das Vermitteln meiner Arbeitsinhalte gehört immer wieder in meinen Arbeitsalltag – interdisziplinär sowie mit den KlientInnen.
Als Teilnehmerin und als Referentin bevorzuge ich eine Form, die Praxis mit Theorie verbindet, da so viele kompetente FachkollegInnen anwesend sind, welche gegenseitig voneinander profitieren können.“ (Renate Nussberger)
„Die Teilnahme an der EMTC-Konferenz in Wien hat sich für mich gelohnt.
Es gab viele interessante Auswahlmöglichkeiten von Workshops, round
tables und Oral Presentations mit guten ReferentInnen aus
vielen Ländern und vielseitigen Themenbereichen. Die Gesamtatmosphäre auf dem Campus war nicht nur durch das schöne Wetter gut, sondern auch hinsichtlich der Begegnungen, des gemeinsamen Mittagessens im Hof und der vielen informellen Austauschmöglichkeiten auf dem Campus, der zugleich auch Rückzugsmöglichkeiten zur Erholung bot. Es gab ausreichend Zeit zwischen den einzelnen Veranstaltungen, so dass man nicht unter Zeitdruck geriet beim Wechsel. Die Studentinnen und Studenten aus Wien waren in der Organisation sehr hilfreich und freundlich gerade auch, wenn man selbst präsentiert hat.
Es hat Spass gemacht, vor einem Fachpublikum zu referieren und mit
erfahrenen Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch über die eigene Arbeit zu
kommen. Auch das Rahmenprogramm war von der Eröffnungsfeier im Kino über das Galadinner in der Stadt bis hin zur fulminanten Abschlussveranstaltung
herausragend.
Etwas ungünstig fand ich den Einschreibemodus für die verschiedenen
Präsentationen, Workshops usw. am frühen Morgen eines jeden Tages nach dem Motto „first come, first served“. Das ist aber auch das Einzige, was es aus
meiner Sicht zu kritisieren gibt. Der Kongress hat wirklich Spass gemacht!“ (Astrid Lorz)
"Was für ein ausgesprochen gelungener Kongress, der mit so viel Liebe ins kleinste Detail, Kreativität und Herzblut organisiert und dargeboten wurde. Er hat seinem Titel "Symphony of dialogues" alle Ehre bereitet. Besonders haben mir die Dialogue Sessions gefallen, die interessante Themen mit interdisziplinären Experten angeschnitten haben. Der Dialog zwischen den Experten und dem Publikum ist durch diese Form der Darbietung sehr gut gelungen. Man hat sich sowohl als Präsentierender als auch als Teilnehmer sehr gut aufgehoben, umsorgt und willkommen gefühlt. Das umwerfende Rahmenprogramm und die langen Lunchbreaks im schönen Innenhof bei sommerlichen Temperaturen haben übriges dazu beigetragen. Man konnte viele inspirierende und interessante Dialoge in dem stets wohlwollenden Ambiente des Kongresses führen. Sehr gut hat mir auch das Nachhaltigkeitskonzept gefallen. Und so erinnert mich meine Kongresstasse jeden Morgen in meinem Büro an die wunderschöne Zeit in Wien mit so vielen lieben Kollegen nicht nur aus Europa sondern aus der ganzen Welt." (Friederike Haslbeck)
„Ces 5 jours à Vienne, entourée de 600 musicothérapeutes venant du monde entier, ont été pour moi une symphonie de dialogues, de rencontres, de découvertes, d’ouvertures, de sensations.
Le choix de présentations orales, workshops, films était époustouflant, engendrant souvent des frustrations devant l’impossibilité de pouvoir assister à toutes les propositions... Mais je suis rentrée avec une quantité d’informations transmises chaque fois avec passion et générosité, informations dans lesquelles je peux piocher au besoin.
La richesse du congrès m’a ouvert à d’autres regards sur la musicothérapie, en fonction des origines culturelles des intervenants mais aussi selon les populations cibles. J’ai pu également sentir combien la recherche scientifique dans notre domaine est intense, fine et pertinente, directement en lien à notre travail clinique. J’ai aimé aller à la découverte de présentations du travail de collègues suisses, apprendre à les connaître autrement, à travers leurs réalités professionnelles mais aussi personnellement, dans ces moments de « pauses » riches en échanges, nourriture et musique! J’ai aimé me laisser porter par les réflexions et questionnements plus larges, concernant la place de la musicothérapie dans les équipes institutionnelles ou d’un point de vue politique. Notre rôle ne s’arrête pas au patient. Et j’ai réellement découvert ce qu’est l’EMTC et me suis sentie appartenir à cette grande famille de musicothérapeutes.
Un grand défi pour moi a marqué ce congrès: une présentation orale. Je ne me rendais compte ni de l’ampleur de la tâche, ni de l’enjeu par rapport à un public de spécialistes ! J’ai été soulagée de trouver un public bienveillant et touché par ma réalité clinique.
Je rentre avec plusieurs certitudes : le besoin de travailler plus en lien avec d’autres musicothérapeutes, de sortir du champ strict de la relation musicothérapeutique et de parler et écrire sur notre magnifique métier ! Et pourquoi pas présenter à plusieurs une thématique commune lors du prochain congrès au Danemark en 2019 ?“ (Anne-Laure Murer)
In diesem Sinne: SAVE THE DATE: 26.-30. Juni 2019, 11. EMTC- Konferenz in Aalborg, Dänemark.
Bettina Kandé-Staehelin, EMTC-Delegierte für die Schweiz
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