Bericht Symposium Musik und Psychiatrie

«die Begegnung orchestrieren»
Lausanne 13. / 14. Februar 2020

 

Das Symposium MUSIK UND PSYCHIATRIE fand in der Hochschule für Musik, Lausanne statt. Die Organisatoren (Hochschulen für Musik, Hochschule für Gesundheit VD) haben diese zwei Tage wunderbar «orchestriert» und die Partitur perfekt umgesetzt.

In der aktuellen Situation mit all den Hygiene-Vorschriften und dem social distancing über einen Grossanlass zu schreiben, an dem wir uns in einer grossen Menge getroffen haben, mutet sehr speziell an und lässt diesen Anlass noch intensiver nachklingen. Wir haben uns getroffen, um Wissen auszutauschen und neue therapeutische Zugänge kennenzulernen. Die Freude, sich zu treffen, sich zu umarmen, das Gefühl von Verbundenheit, die menschliche Wärme, die wir so brauchen, all das bekommt in der aktuellen Situation einen ganz speziellen Wert und fehlt uns umso mehr. Ich hoffe, dass wir sehr bald wieder solche Wiedersehen feiern können! Die Wertschätzung für diese zurückgewonnenen Freiheiten wird dabei sehr gross sein.

Die Organisatoren dieser Tagung wollten Forscher verschiedener Disziplinen (Psychologie, Medizin, Soziologie, Anthropologie, Geschichte und sogar Ingenieure) sowie Fachpersonen aus Gesundheitsberufen und Musik vereinen, um Praxis- und Forschungserfahrungen zum Thema Musik in der Psychiatrie auszutauschen.

Eröffnet wurde das Symposium durch den Vortrag von Professor Didier Grandjean (Universität Genf) «Musik und emotionale Prozesse»: Wie löst Musik Emotionen aus, welche Hirnareale sind involviert?

Danach folgte ein erster theoretischer Teil mit Kurzvorträgen zum Thema «Musikalische Interventionen». Es wurden verschiedene interessante und kreative Musik-Integrationspro-jekte im pflegerischen Kontext in Frankreich und Kanada vorgestellt. Nach dem Mittagessen standen fünf Workshops von Fachleuten aus der Schweiz und Frankreich auf dem Programm. Anne Bolli’s Atelier zum Thema «die Stimme, das Instrument, das auf natürliche Weise das Wohlbefinden von Klient und Therapeut verbessert» erhielt ein sehr positives Echo.

Im zweiten theoretischen Teil mit dem Titel «Musiktherapie: Werkzeuge und Praxis» gab es drei anregende Kurzvorträge von Musiktherapiekolleginnen.

Sarah Flores Delacrausaz (CHUV) stellte ihr selbst entwickeltes, qualitatives Forschungsinstrument für Musiktherapie in der Psychiatrie vor: solche musiktherapeutischen Untersuchungsinstrumente sind rar; das von Sarah Flores Delacrausaz vorgestellte ist ein wichtiger Beitrag in diesem Bereich.

Der Vortrag von Anne Schnell (UPK Basel) bot einen spannenden Einblick in ihre musiktherapeutischen Erfahrungen mit Menschen mit Sucht-/ Abhängigkeitserkrankungen (Spiel-,  Kauf- und Sexsucht).

Zum Abschluss stellte Diandra Russo (Klinik Barmelweid) ihre sehr fundierte und interessante Pilotstudie vor zum Thema «Auswirkungen des achtsamen Selbstmitgefühls (MSC) auf die Schmerzakzeptanz bei Menschen mit chronischen Schmerzen».

Für einen musikalisch stimmigen Tagesausklang sorgte schliesslich ein Quartett des Treppenhausorchesters aus Deutschland.

Der zweite Symposiumstag begann mit einer Präsentation des Treppenhausorchesters zu der Frage: «Wie kann man im Notfall ohne Worte reagieren?» Eine interaktive Erfahrung: ein Symposiumsteilnehmer schreibt ein Wort oder einen kurzen Satz auf ein Papier und setzt sich in den Kreis des Quartetts. Das Quartett liest das Wort / den Satz, ohne dies dem Publikum zu verraten und improvisiert anschliessend darüber frei ein erstes Stück. Anschliessend spielen sie einen Satz eines bekannten Quartetts (Mozart, Schubert, etc.) als Gegenpol. Alle, die an diesem Experiment teilnahmen, haben den Quartettkreis sehr berührt wieder verlassen.

Der Anfang des dritten theoretischen Teils mit dem Titel «Heilen durch das Lied» machte Anne-Laure Murer (Vorstand SFMT). Sie berichtete über ihre Arbeit mit Menschen mit fortgeschrittenen kognitiven Einschränkungen. Ihr Zugang zu diesen Menschen, der in ihrem in der Musiktherapieszene bekannten Video deutlich wird, berührte sehr. Flora Rozet (Frankreich) schliesslich referierte über das Thema Singen mit den Eltern für ihr Neugeborenes in der Neonatologie. Lynda-Nawel Tebani (Ecole Du Breuil, Frankreich) berichtete über ihre Arbeit mit der Stimme bei Migranten mit Aphasie und wies darauf hin, wie unterstützend Singen im Exil sei. France Guillermin (Institut maïeutique, Lausanne) setzte einen Akzent auf die Bedeutung regelmässigen gemeinsamen Singens (Patienten und Mitarbeiter, bspw. in wöchentlichen Sequenzen). Die Regelmässigkeit solcher Sequenzen verbindet und schafft eine gemeinsame Sprache, was sich positiv auf die Kommunikation im Krankenhausalltag auswirkt. Es gibt sogar zweimal jährlich einen öffentlichen Auftritt.

Die Workshops vom Vortag wurden auch am zweiten Tag angeboten, sodass jeder insgesamt an zwei verschiedenen Workshops teilnehmen konnte.

Der vierte theoretische Teil war dem Thema «Musik hören in der Psychiatrie» gewidmet.

Eine Gruppe aus dem Universitätsspital Aalborg (DK) berichtete über die Einführung von Musikhören in Krankenzimmern. Dazu wurden Playlists erstellt, basierend auf theoretischer und empirischer Forschung in Musikmedizin und Musiktherapie, aus denen ein Patient mit der speziellen dafür entwickelten Soft- und Hardware (The Music-Star) selber die für ihn passende Musik auswählen kann.

Der letzte Vortrag kam von einer Gruppe Musiker, Anthropologen, Pflegefachpersonen und Ingenieure der Fachhochschulen Westschweiz. Sie stellten ihr Projekt von Musik hören in Isozimmern in der Psychiatrie vor. Mehrere Psychiatrien der Westschweiz haben teilgenommen. (siehe www.amenhotep.ch). Schade, dass bei diesem Projekt keine Musiktherapeuten beratend einbezogen worden sind, im Gegensatz zu dem Aalborger Beispiel! Es ist daher wichtig, dass wir Musiktherapeuten wach bleiben und uns einmischen, um Einfluss nehmen zu können auf das Schweizer Projekt.

Tolten, Performer und Musiker (Slam) hat die Veranstaltung mit seinen Wortschöpfungen, «Ton-Skizzen», wie er sie selber nennt, kraftvoll abgeschlossen. Lebendig und anpassungsfähig hat er uns mit seiner Musik eingenommen und amüsiert mit seinem Verständnis von Interventionen.  

Abschliessend ist zu sagen, dass diese multidisziplinären Veranstaltungen unseren musiktherapeutischen Blickwinkel positiv erweitert und uns dadurch neue Arbeitsmöglichkeiten eröffnet hat. Alles war wunderbar professionell orchestriert: die Organisation, der Ablauf der Vorträge und Workshops sowie die schmackhafte Verpflegung in den Pausen. 

Ein grosses Dankeschön an die Organisatoren, die Conférenciers und die Workshopleiterinen.

Auf dass wir die aktuellen Einschränkungen gut und möglichst gelassen überstehen und gesund bleiben!

 

Christine Curdy, Übers. UWR

 

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