Musiktherapie in Corona-Zeiten

Stimmen der Musiktherapie in Corona-Zeiten

Die Praxen müssen zu machen und das Geld hört auf zu fliessen. Die selbständigen Musiktherapeuten bleiben auf jeden Fall flexibel – da wo es geht – und fangen an, Therapien per Telefon oder Videokonferenz anzubieten.

In den Institutionen werden die Gruppen- und kurz darauf auch die Individual-Therapien abgebrochen. Angestellte Musiktherapeuten werden in der Sozialbeschäftigung oder in der Pflege eingesetzt. Oder aber, sie müssen zu Hause bleiben.

Viele Fragen kommen in uns allen auf: Wie sieht es mit meiner Existenz aus? Wo und wie kann ich überhaupt noch meine Dienste anbieten? Sind mir die Hände gebunden oder kann ich der Gesellschaft doch noch einen Beitrag leisten, wenn auch vielleicht auf eine andere Art und Weise? Kann ich noch nützlich sein?

Das sind Corona-Zeiten.

Wir – Christine Gasser, Anne-Laure Murer und ich – haben hier für Sie sehr berührende und interessante Berichte aus der aktuellen Berufsrealität gesammelt von Kolleginnen, welche sich sehr wahrscheinlich wie Sie vor den Kopf gestossen fühlten, sich aufgerafft und nach neuen Wegen gesucht, ja gar neue Ressourcen entdeckt haben.

Nicht immer aber ist die Alternativsuche so einfach, und starke Emotionen können uns lähmen oder ängstigen. Wir werden mit unserer Verletzlichkeit konfrontiert und müssen uns selbst daran erinnern, was wir unseren Patientinnen und Patienten so gerne vermitteln: Durchatmen, Raum schaffen für unser Innenleben, Ausdruck finden dafür, sei’s durch ein Lied, einen Ton, durch…Musik. Uns in Zuversicht üben, denn dies ist eine lebenslange Herausforderung. Uns selbst wieder in Bewegung bringen, sanft, liebevoll, mit ganz viel Verständnis.

Ihnen, liebe Mitglieder des SFMT, sind diese inspirierenden Artikel gewidmet, damit Sie spüren, dass wir keineswegs alleine, sondern verbunden, getragen, gehalten sind.

In diesem Sinne danken wir unseren Autorinnen von ganzem Herzen für ihren wertvollen Beitrag und dafür, dass sie die Kraft gefunden haben, in dieser anstrengenden und herausfordernden Zeit, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen und Ihnen weiterzugeben.

Bleiben Sie gesund - in jeglicher Hinsicht.

Herzlichst,

Ihre Diana Ramette-Schneider

Stimme aus einer Klinik

Virus verrückt Gewohntes

Intro: die vielen Fragen zu den Eigenschaften dieses machtvollen, kleinen Virus – zu lange keine klaren Antworten, zu lange von Weitem zugeschaut nach Osten, nach Süden…

Aushalten, die unwirklich anmutenden Szenen über der Grenze! Aushalten und staunen wie überzeugt politisch schliesslich sehr schnell gehandelt wird.

Staunen, aufatmen, bangen und hoffen!

Accelerando: Überstürzende Ereignisse: News – – – «abgesagt» im Staccato!!!

Bangen: Sind dies Grippesymptome oder Covid-19-Symptome?

Ein negativer Test erleichtert den Umgang in der Familie; enttäuscht aber auch, da somit keine Antikörper – wäre so nützlich, bereits gewappnet…

Manchmal Zweifel, ob der Test ohne Referenz tatsächlich zuverlässig war? Alle Symptome zeigten sich laut Robert-Koch-Institut eigentlich passend zu den Covid-19-Symptomen, welche die BAG-Seite lange nicht nannte – Hauptsache endlich gesund und wieder voller Energie!

Accelerando: Überstürzende Ereignisse: Von heut auf morgen bis auf Weiteres der Arbeit fern? Obwohl wieder fit: Vorgeschriebener Rückzug, weder Absprache noch genauere Information.

Erkennen: Selbstverständliches, ja, der Alltag ist nicht mehr, kann neu erstellt werden – na los!

Entlastet wird damit die Spannung ob «bereits Träger»; der Virus aktiv im Versteckspiel; ob sie reicht, die Vorsicht mit Patienten und Risiko-Personen in der Familie? Eigene vier Wände tun somit auch gut.

Eine umsichtige Task Force verhindert in der Klinik den Gau, wie wohltuend, beruhigend.

Nur wenig Zeitressourcen sind vorhanden, nur Allernötigstes an Kommunikation zwischen Innen und Aussen findet statt. Doch Solidarität mit den Stations-Teams findet Wege und wird geschätzt.

Alle Ressourcen der Klinik gebündelt vor Ort: der Rest entfällt.

Momentane Kernaufgaben, was am Drum-Herum bleibt erhalten auf Station?

Wie ist der Umgang mit Angst von Personal und Patienten? So gut wie möglich entlastet durch (möglichst) schlüssige Information und striktes Verhalten, je nach Ressourcen passendes Personal.

Möglich: In Bereitschaftsein für Mitarbeiter am Care-Team-Telefon.

Ausgebremst (denn im Alltag der Klinik ist dafür momentan kein Raum): Bereitschaft, angepasste Möglichkeiten der Musiktherapie von aussen anzubieten. Die Frage aufkeimen lassen (oder lieber nicht): Was wird werden im folgenden Spardruck, wenn Musiktherapie heute wenig relevant ist – wird das von Bedeutung sein?

Reprisen: Aushalten des Mitgefühls für unzählige Szenarien – Hektik durch Hygiene-Massnahmen, Distanzierungsregeln, Besuchsverbote und Aktivitäts-Einschränkungen, Ängste, unregulierte Emotionen bei besonders Verletzlichen, Bedürftigen…

Überall bleiben so viele Bedürfnisse ungestillt. Alltagsstrukturen, Betreuung und Verarztung, Sowieso und überall das Miteinander-Sein, alles ist im Ausnahmezustand. Wie ist das erst fürs aktuell versorgende Personal auszuhalten?

Erinnern ehemaliger Patienten in dieser Situation, der Wunsch, sie mögen mit wenig Verletzung durchkommen, gar selbständig Stärken entdecken in der Krise.

Aushalten: Dies alles zu spüren und zu denken, ohne die vertrauten Handlungsebenen des Berufsalltags.

Erbauendes Ostinato in diesen Wochen:

In aller Ruhe endlich gestapelte Fachliteratur lesen – bis die Lust drauf gestillt ist.

Musizieren zum Regulieren der eigenen Situation. Wie schön wär‘s mit den üblichen Mitmusikern!

Aushalten, Durchatmen, Vorwärtsschauen, Fragend- aber Offen-Bleiben für die kleinen und riesigen Chancen, welche die Einschränkung, die Überwindung von Ängsten mit sich bringen. Reduktion, «auf sich gestellt sein» mit wenig Ablenkung – ein Luxus, Herausforderung und Chance in Einem.

Continuo: Abwartend dankbar sein, diese Ausnahme Situation im sonnigen Frühling, in der gut organisierten, digitalisierten, reichen Schweiz zu erleben!

Den Puls halten, nicht nachlassen!

Frühling! Täglich ausgiebig die Farben, der Duft, der Klang, das Licht, die Wärme, die Kraft und die Ruhe… Wohltuender Kontrast zu News und dunkler Ungewissheit – die Gesellschaft und jeder einzelne schultert grad viel. Gewohntes, Sicheres ist aufgebrochen. Hoffentlich kann diese Zeit für jeden von uns wie der dunkle, umgebrochene Ackerboden fruchtbar werden.

Renate Nussberger

Eine Stimme aus einem Alters- und Pflegeheim

Diana, Vorstandsmitglied des SFMT, hat sich bei mir gemeldet und mich sehr nett darum gebeten, meinen musiktherapeutischen Weg in der Einschränkung der Coronazeit zu beschreiben. Ich bedanke mich bei ihr ganz herzlich.

Zwei Wochen war ich wegen undefinierbaren Symptomen krank geschrieben; seit zehn Tagen arbeite ich wieder, zum Teil vor Ort, zum Teil zuhause. Viel hat das mit Musiktherapie nicht mehr zu tun.

Heute ging ich ins Alters- und Pflegeheim, wo ich schon seit neun Jahren arbeite. Das Heim kümmert sich um alte Menschen mit kognitiven Problemen.

Ich arbeite mit niemandem mehr, alle sind in ihren Zimmern «eingesperrt». Niemand kommt, niemand geht. Ausser das Pflegepersonal, das ich auf der Terrasse während deren Pause antreffe; alle haben sie zwei Meter Abstand voneinander. Hauptsächlich angespannte und müde Gesichter, sie zählen die kranken Kollegen und Bewohner.

Ich bleibe alleine im Büro, wo ich facetime, skype, Whatsapp-Anrufe der Angehörigen koordiniere. Zwischen zweimal Händewaschen deponiere ich das inzwischen desinfizierte Telefon bei einer Abteilung, damit meine Kollegen die Angehörigen anrufen können, den Kontakt aufrecht erhalten, und sie mit diesem kurzen Anruf etwas beruhigen.

Beim Ankommen heute Vormittag habe ich auf dem Tisch, wo die Todesanzeigen aufgelegt sind, zwei Fotos gesehen. Zwei Personen, denen ich nahe stand, vor allem eine. Ein Mann, den ich in individueller Behandlung seit langem begleite. Eine wunderbare Person, sanft und voller Sensibilität. Ein Liebhaber der Musik von Bach und Mozart.

Nie habe ich mir vorstellen können, dass mich das Gehen eines Patienten so berühren könnte. Es stimmt, der Tod der alten Menschen entspricht dem Lauf der Dinge, man kann ihn akzeptieren. Er ist manchmal eine Erlösung, wenn die Abhängigkeit vollständig wird und die Krankheit unheilbar ist.

Aber heute ist die Trauer gross. Im Gang habe ich kurz mit einer Pflegenden, die sich auch um ihn gekümmert hat, ein paar Worte wechseln können. Die gemeinsamen Tränen haben mir gut getan.

Heute abend, beim Schreiben dieser Zeilen, bin ich mir sehr wohl bewusst, dass sie nicht dem entsprechen, was man mir vorgeschlagen hat.

Aber ich möchte diesem Mann die Ehre erweisen, ihm für die Menschlichkeit, die er uns vermittelt hat, danken. Und in grösserem Rahmen all denen danken, die wir begleiten, die uns zu uns und ins wesentliche Leben führen. Ohne sie würden wir uns oft im Trubel unseres Alltags verlieren.

Ich hoffe, dass meine Zeilen Ihnen etwas gebracht haben.

Ich wünsche Ihnen eine blühende Gesundheit und viel Licht, um durch diese diffuse Zeit hindurchgehen zu können.

Lucie Plantevin, Übers. DH

Eine Stimme aus der eigenen Praxis

Corona Musiktherapie

Die aktuellen Einschränkungen führen (wenn ich diese Zeilen schreibe, ist es noch so) zu radikalen Veränderungen unseres Alltags und bringen drastische Konsequenzen für unsere therapeutische Arbeit mit sich – falls man überhaupt noch arbeiten kann.

In meiner Praxis wurden alle Therapiesitzungen mit Klang (Monochord, Klangschalen, Stimme) abgesagt, andere Einzeltherapien konnten jedoch durchgeführt werden. Der Grossteil meiner Patienten sind Erwachsene, die an Burnout, Angststörungen, Stimm- und Ausdrucksproblemen oder an Tinnitus leiden – alles Einschränkungen, die eine Therapie auf Distanz ermöglichen. Waren die Patientinnen zu Beginn noch etwas skeptisch gegenüber meinem Vorschlag einer «Fernbehandlung», so haben sie mit der Zeit mit grossem Erstaunen festgestellt, dass auch in diesen Video- oder Telefon-Therapiesitzungen «etwas geschieht», sodass sie diese neue Therapieform schliesslich akzeptiert haben.

In meiner therapeutischen Arbeit habe ich aufgrund der Corona-Einschränkungen viel Neues ausprobiert und dadurch bereichernde Erfahrungen gemacht, wie zum Beispiel:

  • Eine Therapiesitzung mit einem Flüchtling in seinem Auto oder im Wald, damit er etwas Abstand zu seinen Nächsten hat.
  • Unterstützung des Vaters eines Patienten beim Stimmen der Gitarre (schrauben, schrauben und wieder ein ganz klein wenig zurück…).
  • Online-Besuch einer Patientenwohnung (ein überraschender Vergleich meiner Vorstellung mit der Realität seiner Wohnsituation).
  • Ein unerwarteter (und neugieriger) Gruss eines Partners oder eines Kindes in einer Videositzung.
  • Die Möglichkeit, die Eltern eines Kindes aktiv mit einzubeziehen mit improvisierten Instrumenten aus der Küche (die vielleicht auch den Klang der zukünftigen gemeinsamen Mahlzeiten veränderten).
  • Simultanes Musikhören auf YouTube mit einem Patienten, jeder bei sich.
  • Mit einem Patienten zusammen ein Lied komponieren für die Beerdigung seiner Grossmutter, die online stattfinden wird. Ihn dabei möglichst gut begleiten, das Lied aufnehmen, etwas bearbeiten und schliesslich schicken, bereit für die Zeremonie.
  • Einen Stimmworkshop mit zehn Personen online anleiten, ganz alleine vor meinem Klavier.
  • All das natürlich auf Distanz!

Hier noch eine paar konkrete technisch/praktische Tipps zu meiner Musiktherapie auf Distanz. Ich habe Sitzungen mit doxy.me abgehalten, einer sicheren Telemedizin Plattform, bei der jedoch die Bildqualität leider oft schlecht war. Schaltete man die Kamera aus und hörte nur noch den Ton, war es besser. Mit Skype war die Qualität oft besser, aber weniger datensicher.

Gemeinsames Musizieren war über WhatsApp qualitativ am besten, mit an das Smartphon angeschlossenen Lautsprechern auf beiden Seiten (der Patient und ich; man kann so auch die Lautstärke des Patienten erhöhen und sich so besser gegenseitig hören). Vielleicht ist das ähnlich auch über Signal (freie Anwendung mit WhatsApp vergleichbar) möglich. Ich habe dies jedoch aktuell noch nicht ausprobiert. Das Lied für die Beerdigung habe ich mit Audacity aufgenommen während meiner WhatsApp Sitzung und anschliessend mit Audacity (einfache und schnelle Tonbearbeitungsmöglichkeit) bearbeitet.

Gruppensitzungen begann ich mit Zoom, werde nun aber auf Empfehlung von allen Infomaniak Meet ausprobieren. Gemäss Swisscom sollen Videoconferenzen auch mit Cisco Webex, möglich sein. Allerdings kann dieses System nur auf fixen Computern eingerichtet werden und nicht auf Laptops oder Smartphones.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Welt der Klänge und der Beziehungen mir aktuell noch reicher erscheint als ich dachte und bisher erlebt habe. Die Musiktherapie hat noch viele schöne Stunden vor sich, auch auf Distanz. Ich habe gelesen, dass Musiktherapeuten in Australien schon länger erfolgreich «auf Distanz» arbeiten, weil es dort oft schwierig ist, in die Therapie zu kommen, wenn man in grosser Entfernung von einem Ort lebt (siehe die FacebookSeite des Australischen Musiktherapieverbandes).

Aber es braucht trotz allem viel Zeit (und eine gute technische Ausrüstung), damit einem am Ende des Tages nicht der Kopf brummt… Die Therapiesitzungen auf Distanz sind eine grössere Herausforderung für Ohren und Aufmerksamkeit als die konventionellen!

Erwartungsvoll freue ich mich, von Ihren Erfahrungen in dieser Zeit der Begrenzungen zu lesen.

Sehr herzlich,

Ihre Anne Bolli, Übers. UWR

Stimme aus einer heilpädagogischen Schule und aus der eigenen Praxis

Wie sah dein Berufsalltag vor Corona aus?

Als Klinische Musiktherapeutin arbeite ich an der heilpädagogischen Schule der Stiftung Sapilio in Altdorf. Dort sowie in meiner eigenen Praxis, bin ich auch als Selbständigerwerbende tätig. Im Bereich der Erwachsenenbildung biete ich verschiedene Kurse an.

Wie sieht dein Berufsalltag heute aus?

Nach der Schliessung der Schule dachten wir zuerst, die Musiktherapie könne weitergeführt werden. Schnell war klar, dass dies auch nicht mehr möglich ist. Von zuhause aus bin ich nun per Telefon und Whatsapp im Kontakt mit den Musiktherapie-Kindern, -Jugendlichen und deren Eltern. Und ich schreibe, zwar etwas früh im Jahr, die Musiktherapie-Jahresberichte...

Auch in meiner eigenen Praxis kann ich keine Musiktherapie anbieten, meine Kurse sind verschoben und der Aufbau einer neuen Musiktherapiestelle ist auf Eis gelegt.

Finanziell scheint der Lohn aus dem Angestelltenverhältnis gesichert, für den selbständigen Anteil habe ich Erwerbsersatzentschädigung beantragt.

Neu hüte ich zwei Tage in der Woche die Jungen meiner Schwester, mache Nachbarschaftshilfe, lese und musiziere und gehe in die Natur.

Zum einen geniesse ich dieses «neue Leben», zum anderen wäre ich gerne mehr unterstützend, oder noch lieber arbeitend, aktiv. Mal schauen, ob ich dies zukünftig ändern kann.

Andrea Erni

Stimme aus einer Rehaklinik

Situation aktuell:

Es dürfen keine Patienten in den Musiktherapieraum. Es darf nicht aktiv, sondern nur rezeptiv gearbeitet werden. Es muss ein Mundschutz getragen und der Abstand eingehalten werden. Die Situation ist für alle sehr speziell. Für die Patienten ist allerdings das Schwierigste, dass sie keinen Besuch empfangen dürfen.

Vorher fanden die Therapien im Musiktherapieraum statt und es wurden auch aktive Methoden angewendet. Die Musiktherapie wurde als kleine Insel im Klinikalltag sehr geschätzt. Wenn zum Beispiel Patienten trotz Tetraplegie Töne erzeugen konnten, waren sie sehr erfreut. Diese Möglichkeiten fallen nun weg.

Anonym

 

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